Anlässlich des 70-jährigen Jubiläums, das der Bund Heimat und Volksleben e. V. am 23. März 2018 in Waldkirch feierte, hielt S. K. H. Bernhard Prinz von Baden eine bemerkenswerte Rede, die wir Ihnen gerne zur Kenntnis geben wollen. Wir bedanken uns, dass wir den Beitrag veröffentlichen dürfen.
Jahreshauptversammlung und Jubiläum 70 Jahre Bund Heimat und Volksleben
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
siebzig Jahre sind natürlich kein Jubiläum. Ein runder Geburtstag vielleicht, im Laufe
eines Menschenlebens. Für eine Institution sind siebzig Jahre jedoch nichts! Meine Damen und Herren, ich hoffe Sie sind jetzt nicht enttäuscht und sehen mir diese strenge Sichtweise nach. Ein siebzigster Geburtstag ist aber – wie jeder Geburtstag – in jedem Fall ein lohnender Zeitpunkt, einen Rückblick zu wagen:
Wir schreiben das Jahr 1948, der heutige Bund Heimat und Volksleben wird gegründet, allerdings noch nicht unter seinem heutigen Namen, sondern unter dem Taufnamen „Arbeitsgemeinschaft Schwarzwälder Volksleben“. Die Gründungsväter sind Gottlieb Reinbold, Bürgermeister und Landtagsabgeordneter, und Joseph Siebold, damaliger Pfarrer in St. Märgen, der Krieg ist gerade einmal drei Jahre vorbei. Unsere Städte, unser Staat und Sozialwesen sowie unsere Reputation waren zerstört, selbstverschuldet zerstört. Wir selbst haben in den Jahren zuvor unseren moralischen Kompass verloren, unsere Traditionen missbraucht und Deutschland und die Welt in die Katastrophe gestürzt.
Zerstört wurden aber nicht nur große Teile unserer Infrastruktur, unserer Wirtschaft, zerstört wurden nicht nur bedeutende Kulturgüter, Kirchen und historische Bauten! Wir scheinen außerdem auf den Schlachtfeldern und in den Bombennächten unser Geschichtsbewusstsein eingebüßt zu haben!
Wie sonst lässt sich die bizarre Geschichtslosigkeit der Nachkriegszeit erklären? Noch lange nach dem Kriegsende wurden ganze Altstädte gewissermaßen geräumt und gleichzeitig eine vermeintlich historisch „unbelastete“ Architektur gefördert. Selbst Institutionen mit uralten und starken historischen Wurzeln, wie besonders die Kirchen, verordneten sich ein architektonisches Selbstverständnis, das jegliche baugeschichtliche Tradition geradezu verleugnete. In dieser traurigen Nachkriegssituation entwickelt sich die „Arbeitsgemeinschaft Schwarzwälder Volksleben“ zum Bund „Heimat und Volksleben“ mit dem Kernziel, heimisches Brauchtum und ländliche Traditionen zu bewahren. Die Gründung des Bundes stand zur damaligen Zeit gewiss im Widerspruch zur vorherrschenden intellektuellen Meinung oder wurde als hoffnungslose, weil rückwärtsgewandte Romantik abgestempelt. Versuchen wir, uns in die damalige Zeit zurückzudenken, stellen wir uns Bilder aus den 50er Jahren vor: Trachtenträger in einem Foyer aus Sichtbeton bei der Einweihung eines Behördenzentrums, oder war es ein Bildungszentrum, oder war es doch die neue Kirche?
Meine Damen und Herren, ich bin Ihren Vorgängern sehr dankbar, denn sie haben Herz und Farbe in den betongrauen Neustart unseres Landes gebracht, und zwar mit großem Erfolg. Seit 1974 ist Frau Hülse als Geschäftsführerin dabei! Zwischen Markdorf bei mir daheim am Bodensee und Weinheim an der Bergstraße kamen im Lauf der Jahre weit über 200 Mitgliedsgruppen und Vereine dazu. Eindrückliche Zahlen und noch eindrücklicher die Liste der Aktivitäten des Bundes: Heimat- und Brauchtumsforschung, Trachtenberatung, Volkstanz, Volksliedersingen, Mundartarchiv, alemannische Weihnachtsspiele und die wichtige Jugendförderung, um einige Felder zu nennen. Auch die Herausgabe des „Lichtgangs“ möchte ich ausdrücklich erwähnen.
Dieser Erfolg ist ein großer Verdienst der Aktiven und Förderer des BHV gerade in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg. Sie haben gespürt, dass wir trotz aller Schuld und kriegerischer Katastrophen unsere Traditionen und Wurzeln pflegen müssen.
Nach der Wiedervereinigung habe ich einige Zeit in Rostock in Mecklenburg verbracht. Dort gab es zur sozialistischen Betonorgie keinen Ausgleich, kein Gegengewicht. Die unerfreulichen sozialen Auswirkungen auf die Menschen waren täglich zu beobachten und gingen auch durch die Medien. Ich bin davon überzeugt, dass der Verlust von Tradition und Brauchtum bei den Menschen auch zu einer inneren Haltlosigkeit und Leere führt, kulturell entwurzelte Menschen sind anfälliger für falsche Lehren.
Meine Damen und Herren, der BHV hat einen bedeutenden Anteil daran, dass wir in unserer Heimat eine recht gesunde und balancierte Gesellschaft aufbauen konnten. Allerdings darf sich der BHV, dürfen wir alle uns nicht ausruhen. Ich habe an dieser Stelle wiederholt vor kultureller Verflachung und einem dramatischen Schwund von Bildung und historischen Wissen gewarnt. Nicht aus Selbstzweck, sondern weil ich diese Entwicklung für eine wirkliche Gefahr halte, analog dem zur Zeit allenthalben diskutierten Artensterben in der Natur.
Ein solcher Prozess läuft immer gleich ab: Zunächst können wir einen Diversitätsrückgang kaum messen und erste Konsequenzen lassen sich kaum wahrnehmen, dann plötzlich bricht das gesamte System zusammen, und nicht vorläufig, sondern unwiederbringlich! Insofern ist der BHV Seismograph und Therapeut zugleich, denn Sie erkennen nicht nur die Verlustrisiken, sondern sind auch angetreten, Gegenmittel zu entwickeln und zu verabreichen. Wenn wir unsere geliebte Heimat mit ihren Besonderheiten und ihrem eigenständigen Charakter erhalten wollen, gilt es zu kämpfen. Die Umstände sind heute anders als vor 70 Jahren. Damals war das Land zwar in Ruinen, aber unsere kulturellen Wurzeln waren noch lebendig, Traditionen wurden noch gelebt.
Heute präsentiert sich Deutschland in nie dagewesenem Wohlstand, Ruinen und Kriegswunden sind für viele, wenn nicht die meisten, kaum mehr vorstellbar. Und dennoch sind die Wurzeln unser Herkunft inzwischen verkümmert, ja oft schon verloren! Es wird also immer schwieriger, deutlich schwieriger als zur Gründungszeit des Bundes, unser Erbe zu erhalten, gleichzeitig sind wir alle älter geworden, Kräfte schwinden.
Meine Damen und Herren, Sie merken, ich will aufrütteln (nicht erschrecken)! Es wird Zeit, dass wir in viel stärkerem Maße junge Menschen gewinnen, es wird nötig, dass unsere Sprache, unsere Überzeugungen in die Herzen der Menschen treffen!
Unser Bund muss Brauchtum und Volksleben lebendig erhalten. Für die Zukunft unser Heimat, für den sozialen Frieden in unser Gesellschaft. Nur so sind wir stark genug, um die Risiken und Segnungen von Globalisierung und Digitalisierung einschätzen und nutzen zu können. Nur, wenn uns dies gelingt, wird unser Bund, werden wir alle zusammen in Zukunft richtige Jubiläen feiern können.
Bis dahin, Ihnen und uns allen: Happy Birthday und weiter so! Wir sind dank Ihres
unermüdlichen Einsatzes auf dem richtigen Weg. Jetzt heißt es: Ärmel hochkrempeln und los geht’s!
S.K.H. Bernhard Prinz von Baden
23.03.2018
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